Von den Mosuo lernen – Wie frau sich aus dem Patriarchat befreien kann

Die ersten westlichen Ostasienwissenschaftler, die Kenntnis von der Ethnie der Mosuo (oder Moso) bekamen, waren Jaques Barnot und Edouard Chavannes, und zwar über ein Dokument, das die angebliche „Genealogie der Könige der Mosuo“ enthielt. Die beiden Männer wussten jedoch nicht, dass die Mosuo matrilinear lebten. Es stellte sich daher erst später heraus, dass es sich lediglich um die Königsliste der Feudalherren der Naxi (oder Na-khi) handelte.[1] Der Jahrhunderte alten chinesischen Lehrmeinung zufolge gehören die Mosuo in Yongning zum Volk der Naxi in Lijiang auf der anderen Seite des Flusses Yangtse, und beide werden daher von den Chinesen Mosuo genannt. So kam Barnots und Chavannes Irrtum zustande. Die Mosuo-Angehörige Yang Erche Namu fand dies u.a. heraus, als sie ihre Doktorarbeit schrieb, um die Ursprünge ihres Volkes zu erhellen.
Wie sie berichtet, ist jedoch der amerikanische Botaniker Joseph Rock bei den Mosuo beinahe legendär geworden, als er in den Jahren nach 1922 Forschungsreisen in ihr Gebiet unternahm und dabei gute Bekanntschaft mit ihnen machte.[2] Durch seine in erster Linie botanischen Abhandlungen wurden die Mosuo auch in der westlichen Ethnologie bekannter. Einem breiten europäischen Publikum wurden sie jedoch erst durch die Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth, die 1993 zu den Mosuo reiste, sowie durch die Filmemacherinnen Uschi Madeisky, Daniela Parr, Dagmar Margotsdotter-Fricke gegenwärtig[3]. Sie veranstalten auch öffentliche Kongresse, zu denen Angehörige der Mosuo nach Europa kommen.

Mosuo girls
Mosuo-Frauen. Bild: wikimedia commons

Die Mosuo und die Naxi, die seit dem 7. Jh. in chinesischen Chroniken auftauchen, sollen aus der Mongolei stammen.[4] Yang Erche Namu ist zwar von dieser These ebenfalls überzeugt, meint aber aufgrund der unterschiedlichen Sprachen, Kleidung und Ernährungsweise, dass beide Volksgruppen eine eigene Herkunftsgeschichte haben:

„Zu beiden Ufern des Yangtse führten die Feudalherren ihre Abstammung auf einen Armeeoffizier zurück, den angeblich Kublai Khan[5] bei seiner Eroberung Chinas zurückgelassen hatte. Aber abgesehen von dem gemeinsam erhobenen Anspruch auf ferne mongolische Vorfahren unterscheiden sich die Genealogien der Moso- und Naxi-Herrscher vollständig. So weist der Stammbaum der Herren von Lijiang eine durchgängige Erbfolge vom Vater auf den Sohn auf, während die Genealogie der Feudalherren von Yongning darauf hindeutet, dass die Moso-Herrscher ihre Stellung auf matrilinearem Weg vererbten, vom Onkel auf den Neffen, und zwar bis zum 18. Jahrhundert, als durch kaiserliches Edikt das Erstgeburtsrecht und die patrilineare Erbfolge eingeführt wurden. Und das ist sehr interessant, nicht nur weil diese Genealogien die Moso und Naxi grundsätzlich unterscheiden, sondern auch weil sie darauf hinweisen, dass die alte Moso-Elite ihre edle Abstammung nicht nur bei den Mongolen zu suchen hat.“[6]

Wie sie auch mitteilt, wurden die Feudal-Bezirke 1381 von der Ming-Dynastie geteilt.[7]
Zahlreiche Eigenarten, die Yang Erche Namu in ihrer Biographie beschreibt, sprechen für die mongolische Herkunft. Das Yak spielt in der Wirtschaftsweise eine große Rolle, und sie bauen nicht nur Häuser aus Holz, sondern auch Zelte aus Yak-Leder, die genau so aussehen wie die Yurten der Mongolei.[8] Die Frauen verlängern ihr Haar mit Yak-Schwänzen und reiben es mit Yak-Butter ein.[9] Weiterlesen „Von den Mosuo lernen – Wie frau sich aus dem Patriarchat befreien kann“

Gibt oder gab es matriarchale Gesellschaften? Eine notwendige Stellungnahme von Stephanie Gogolin und Gabriele Uhlmann

“Matriarchale Gesellschaften“ ist ein Begriff, der uns oft begegnet, wenn eigentlich von Matrifokalität, unserem angeborenen Sozialverhalten, gesprochen wird oder von indigenen Ethnien, deren kulturelles Alltagsgeschehen noch im matrifokalem Kontext stattfindet. Von „matriarchalen Gesellschaften“ wird aber auch gern gesprochen, wenn die oberste Gottheit eine Göttin war oder ist und die Frauen „selbstbewusst“ und „emanzipiert“ gewesen sein sollen. „Matriarchale Gesellschaften“ seien egalitär und friedlich und manchmal stünde eine Königin oder sogar ein König an ihrer Spitze, die ihre Untertanen weise regierten.

Die führende Mariarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth setzt der Definition von Matriarchat als „Herrschaft der Mütter“ eine eigene dagegen:

Die begriffliche Verwirrung geht auf die scheinbare Parallele der Begriffe ‚Patriarchat’ und ‚Matriarchat’ zurück. Doch der Schein trügt! In sprachlicher Hinsicht muss man keineswegs der üblichen, vorurteilshaften Übersetzung des Begriffs als ‚Herrschaft der Mütter’ folgen. Das griechische Wort ‚arché’ hat nämlich eine doppelte Bedeutung und heißt sowohl ‚Anfang’ als auch ‚Herrschaft’. Der Begriff ‚Matriarchat’ bedeutet daher korrekt übersetzt ‚am Anfang die Mütter’, und das trifft die Sache. Im Falle der patriarchalen Gesellschaftsform ist hingegen die Übersetzung mit ‚Herrschaft der Väter/Männer’ zutreffend.[1]

Auf diese Weise erfährt man jedoch nicht, dass es der niederländische Rechtsethnologe George Alexander Wilken war, der die Bezeichnung Matriarchat 1884 einführte. In seinem Buch Das Matriarchat (Das Mutterrecht) bei den alten Arabern schrieb er:

„Die Frage nach einem ursprünglichen Matriarchat (Mutterrecht) hat in letzter Zeit die Aufmerksamkeit Vieler auf sich gelenkt. Man weiß, was darunter verstanden werden muss. Das Matriarchat ist die Verwandtschaft durch die Mutter, wie das Patriarchat (Vaterrecht) die durch den Vater ist; bei jenem wird die Abstammung ausschließlich in der weiblichen, bei diesem in der männlichen Linie verfolgt. Von diesen beiden ist die mütterliche Verwandtschaft die am meisten ursprüngliche. Man könnte behaupten, dass sie einer der Phasen ist, welche das Familienleben überall in seiner Entwicklung durchlaufen hat.“[2]

Wilken sagte damit, dass ein Matriarchat ein umgedrehtes Patriarchat sei, dies, weil er nicht verstanden hatte, dass Patrilinearität („männliche Linie“) nicht einfach der natürliche Gegenpart zur Matrilinearität („weibliche Linie“) ist. Denn Matrilinearität ist die unmittelbare Folge der angeborenen Matrilokalität (Kinder bleiben bei der Mutter) unserer Spezies. Männer stellten eine kulturelle Ideologie von Patrilinearität dagegen. Und nur wenn sie zusätzlich Patrilokalität (Kinder müssen beim Vater wohnen) erzwingen, wird aus der Idee auch eine stabile Realität. Zwar bezieht Wilken sich in der Tat auf den Ursprung, aber er setzt den Begriff mit Bachofens „Mutterrecht“ gleich und schafft damit die Grundlage für die Begriffsverwirrung und angeblich „scheinbare Parallele“. Denn schon bei Bachofen haben wir die Verknüpfung von Recht und Herrschaft.
Der Patriarchatsforscher Gerhard Bott schrieb dazu in der Antwort auf einen Leserinnenbrief, nach dem Bachofen deutlich gemacht habe, dass aus „dem gebärenden Muttertum“ eben nicht „Weiberherrschaft“ aufsteige, sondern „die allgemeine Brüderlichkeit aller Menschen, deren Bewusstsein und Anerkennung mit der Ausbildung der Paternität untergehe“, (sie zitiert Bachofen, 1954, S. 89) das Folgende:

Das ‚Mutterrecht’ ist für Bachofen immer grausam und negativ. (…) Aus Bachofens ‚Mutterrecht‚ geht (…) eindeutig hervor, dass er immer dann, wenn er vom MutterTUM spricht, nicht etwa die fürchterliche Zeit des MutterRECHTS meint, sondern die ‚befriedete Zeit, nach der ‚Versöhnungder Frauen mit dem Primat der Männer. Er bezieht sich damit auf jene ‚gute‘ Zeit, die nach dem Ende des Mutterrechts, der Gynaikokratie oder ‚Weiberherrschaft, ihren Anfang nahm, und zwar durch die ‚Versöhnung’ der Frau mit dem Mann. Erst in der vaterrechtlichen monogamen Ehe, in der sich die Frau dem Mann ‚lustvoll’. unterordnet, wurde das ‚Durchdringen’ der Frau zum ‚Muttertum’ möglich. Das ‚Mutterrecht’, hingegen stellt Bachofen durchgehend als negativen ZERR-Spiegel des ‚Vaterrechts‚, des Patriarchats, dar.[3]

Schon Bachofens Begriff der Brüderlichkeit hätte aufmerken lassen müssen, dass da etwas grundsätzlich nicht stimmig ist. Weiterlesen „Gibt oder gab es matriarchale Gesellschaften? Eine notwendige Stellungnahme von Stephanie Gogolin und Gabriele Uhlmann“