Antwort auf „Auseinandersetzung mit dem vorausgegangenen Artikel ‚Verteidigung der Matriarchatsforschung‘ von Heide Göttner-Abendroth“ von Evelyn Schlagmann

Die nachfolgende Antwort bezieht sich auf: „Auseinandersetzung mit dem vorausgegangenen Artikel ‚Verteidigung der Matriarchatsforschung‘ von Heide Göttner-Abendroth“ von Evelyn Schlagmann in „Mutterlandbriefe 19“ vom 9.4.2020

Liebe Evelyn Schlagmann,

Sie haben sich intensiv mit unserem, Stephanie Gogolins und meinem Artikel „Gibt oder gab es matriarchale Gesellschaften? Eine notwendige Stellungnahme von Stephanie Gogolin und Gabriele Uhlmann“ auseinandergesetzt, nachdem Sie Heide Göttner-Abendroths Antwort darauf gelesen hatten. Dafür danken wir Ihnen! Nun haben Sie öffentlich in den Mutterlandbriefen 19 einige Verständnisfragen gestellt, auf die ich gerne reagieren möchte.

Zunächst: Der folgende Brief und die Form seiner Veröffentlichung ist in Absprache und Austausch mit Stephanie Gogolin entstanden. Eine direkte Stellungnahme zu Heide Göttner-Abendroths Antwort haben wir nicht verfasst, denn wir fühlen uns davon in allen Punkten bestätigt und wollen nicht alles wiederholen. Die in der Antwort vorgetragenen haltlosen Vorwürfe und Widersprüchlichkeiten sprechen für sich. HGA – in Anlehnung an Ihr Verfahren nutze ich dieses Kürzel für Heide Göttner-Abendroth – ist es dabei gelungen, in über 6 Seiten unser wesentliches Anliegen nicht nur zu diffamieren sondern auch argumentativ zu übergehen. Kurz: Es geht uns um den Unterschied zwischen einer Gesellschaft [als Ausdruck für organisiertes bzw. (an)geordnetes Zusammenleben] und unserem angeborenen Sozialverhalten, das evolutionär tief im Genom verankert ist.

Ich lese aus Ihrem Brief drei Fragen an uns heraus, auf die ich dann im Folgenden so kurz wie möglich eingehe:

1. Warum haben wir einen bestimmten Satz, der auf HGAs Webseite nachzulesen ist, weggelassen, nämlich „Der neu definierte Begriff ‚Matriarchat‘ ist von politischer Bedeutung, denn er bezeichnet Gesellschaften mit mütterlichen Werten. Diese zeigen, dass das gesellschaftliche Leben bedürfnisorientiert statt machtorientiert, gewaltfrei, egalitär und bewusst friedfertig organisiert werden kann„.

2. Warum beschränken wir uns auf die Definition von Gesellschaft, die Schleiermacher/Bott liefern, obwohl es bei Wikipedia so viele andere Gesellschaftsbegriffe gibt?

3. Sie werfen uns vor, HGA zu diskreditieren und unfreundlich zu sein, wo sie doch so „freundliche“ und „behutsame“ Formulierungen fände. Sie möchten wissen, warum wir (Zitat): „nicht einfach [schreiben] (statt HGA anzugreifen), dass [wir] den Begriff ‚Matriarchat’ für schwierig halten, weil er so gerne falsch verstanden wird, bzw. der Mainstream darunter irrtümlicherweise ‚Herrschaft der Mütter‘ oder ‚Frauenherrschaft’ verstehe; und dann den Vorschlag machen, ob wir nicht lieber vom ‚Matrifokal‘ sprechen wollen, um diesen Missverständnissen vorzubeugen? “ Dazu machen Sie weitere Vorschläge, wie wir stattdessen hätten schreiben sollen.
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Systemrelevanz – Die Corona-Krise als Nagelprobe für das Patriarchat

Dank Corona wird inzwischen auch noch dem Letzten klar, dass es unverantwortlich und sehr dumm war, das Gesundheitssystem den Gesetzen des Marktes unterzuordnen. Dass es „systemrelevant“ ist, ist eine epochale Erkenntnis und selbst neoliberale Politiker schwören Abhilfe, wenn die Krise erst einmal vorbei ist. Deutlich geworden ist übrigens auch, wer alles NICHT „systemrelevant“ ist: nicht nur die fast schon sprichwörtlichen BankerInnen, sondern überraschenderweise, ja ausgerechnet auch die (verbeamteten) LehrerInnen und ErzieherInnen, also der lange Arm des Staats, der in die Familie eingreift.

Wie kann das sein? Ihre Arbeit kann kostenlos von Müttern erledigt werden und momentan werden Mütter dazu genötigt, egal, ob sie berufstätig sind oder nicht. Sie dürfen dabei nicht irgendwas unterrichten, sondern nur nach den Regeln des Systems, mit Hausaufgaben per Post und Internet. Mütter sind systemrelevant. Sie sind die Feuerwehrkräfte der Gesellschaft. Das ist wahrscheinlich die noch epochalere Erkenntnis. Anders als die Feuerwehr, die den ganzen Tag auf ein Feuer wartet und dafür bezahlt und berentet wird, bekommen Mütter einmal im Jahr einen Blumenstrauß.

Die neuseeländische Ministerpräsidentin verkündete, dass Kinder sich freuen könnten, dass der Osterhase und die Zahnfee als „essential workers“, also als systemrelevant eingestuft seien, nachdem besorgte Kinder bei der Presse anfragten, ob es für den Osterhasen wegen der Corona-Krise Ausnahmen gäbe. Was im ersten Moment wie eine große Erleichterung klang, entpuppte sich als fiese Täuschung. Im Nachsatz sagte die Ministerpräsidentin mit einem Lächeln im Gesicht: aber. Möglicherweise könne er dieses Jahr nicht jedes Kind bedenken, weil er sich um seine eigenen Kinder kümmern müsse! Also doch keine Entwarnung, die Kinder haben Grund zur Sorge! Wie sollen Kinder das verstehen? Kinder fühlen sich von so etwas völlig zurecht vergackeiert. Frohe Ostern!
Wir wissen, wer der Osterhase ist, wer der Weihnachtsmann ist und all die anderen Heinzelmännchen, es sind unsere Mütter, die – oft neben der Berufstätigkeit – auch für den notwendigen Kuschelfaktor in der Familie sorgen, ohne den Kinder nicht gesund aufwachsen. Es scheint, dass Mütter für zwei Systeme relevant und zugleich nicht relevant sind. Ein interessanter Fall für die Quantenphysik?
Mütter selbst werden unentwegt vergackeiert. Tatsächlich zerreißt es sie in diesen schweren Zeiten. Es ist zu befürchten, dass nach der Krise unter dem Motto business as usual keine nachhaltigen Reformen der Erkenntnis Rechnung tragen werden, auch weil die Sache so kompliziert ist, dass man einschläft und nichts tut.

Seit Corona erkennen wir wenigstens, dass die Gesundheit selbst systemrelevant ist. Corona macht auch vor PolitikerInnen keinen Halt und lange Krankheit bedroht den Wohlstand von uns allen. Darauf jedoch können ausgerechnet Mütter keine Rücksicht nehmen. Es ist eine Katze, die sich in den Schwanz beißt: Viele Großmütter helfen gegen das Gebot des Gesundheitssystems in diesen schweren Zeiten ihren Töchtern, die in systemrelevanten Berufen durcharbeiten müssen und beide riskieren, aus Erschöpfung oder wegen des Virus krank zu werden oder zu sterben. Diese Frauen halten den Karren am Laufen, doch das System auf dem Kutschbock bestimmt die Richtung und die Verkehrsregeln, gegen die diese Mütter und Großmütter verstoßen müssen. Permanente notwendige, mütterliche Regelverstöße – sie werden z. B. auch als Helikoptereltern verunglimpft – sind ein wesentlicher Grund, warum es trotz des Dilemmas, in das sie vom System gestürzt wurden, weitergeht, aber auch warum die Bereitschaft, Mütter zu bezahlen nicht vorhanden ist. Mütter müssen als Sündenböcke herhalten, werden wahlweise als Rabenmütter oder im Beruf minderbemittelt dargestellt. Weiterlesen „Systemrelevanz – Die Corona-Krise als Nagelprobe für das Patriarchat“