Live und ungeschminkt: Wie mit Glaube Politik gemacht wird


Wie im Artikel „Malischer Putschist: Zauberkräfte der Jäger“ des Feuilleton der FAZ-online berichtet wird, behauptet Hauptmann Amadou Haya Sanogo durch seine besondere Beziehung zu den Zauberern des Landes in der Lage zu sein, das politische Gleichgewicht im Staat herzustellen. Diese Zauberer seien im Besitz des daliluw, über das wir im Artikel aber nur Bruchstückhaftes erfahren, nämlich dass die Mande-Völker Westafrikas glauben, dass Zauberer, aber auch Schmiede und Jäger, es besitzen müssen, um das nyama, die „alles aus dem Hintergrund beherrschende magische Energie, in eine positive Richtung zu lenken“.
Was hat es mit dem Zauber auf sich, den Ethnologen nicht anders als mit dem Gerede der angeblichen Zauberer und von Herrschern aus der Geschichte erklären?

Diese Männer behaupten, eine noch größere Macht zu lenken, was nichts anderes bedeutet, als dass sie sich als Herrscher der Herrschaft fühlen, eine psychopathische, männliche Allmachtsphantasie. Doch welche ist diese Herrschaft, diese noch größere Macht?

Schon eine Analyse des Wortes nya-ma deckt die dahinterstehende Absicht auf. „Nya“ ist ein weit verbreiteter afrikanischer Mädchenname und bedeutet „Hartnäckigkeit“, eine Eigenschaft, die für Frauen im Patriarchat überlebenswichtig und gefährlich zugleich ist. Zu diesem Namen gibt es interessanterweise keinen Kosenamen, was von einem besonderen Respekt herrühren mag. Die Silbe ma steht in den afrikanischen Sprachen für „Mutter“. Nyama bedeutet also „Hartnäckigkeit der Mutter“ und steht für die Unbeherrschbarkeit der Natur, bzw. für die weiblich gedachte Natur selbst, deren Richtung von den Zauberern als grundsätzlich falsch definiert wird. Darin liegt der patriarchale Kern, der das Weibliche dämonisiert.

Schon kleine Jungen der Mande-Völker werden mit dem „geheimen Wissen“ daliluw darüber vertraut gemacht, welches Wesen die Natur besäße und wie sie sich nutzbar machen ließe (Ross 2000). Die Schmiede brauchen das Wissen, um das Erz aus der Erde, welche in der Mythologie stets weiblich ist, in Gegenstände zu verwandeln. Ungebildete Menschen halten die Schmiedekunst weiterhin für Zaubererei. Auch die Jäger lassen sich ungern über die Schulter schauen, denn es geht nicht um die Nahrungsbeschaffung, sondern vor allem um Imponiergehabe (Blaffer Hrdy 2010).
Dogon Hunter
So sieht die Zauberkraft der Mande-Jäger (hier ein Dogon) aus.

Für die Dogon, ein Mande-Volk, das im Osten von Mali lebt, ist Nyama mit der Schlange verbunden, die mit einem starken Tabu belegt ist: Sie darf nicht mit den Menschen sprechen. Der Ethnologe Benjamin Müller schreibt darüber: „Die Dogon gehen davon aus, dass Menschen früher nicht starben, sondern dass sie zu Schlangen wurden und in die Erde krochen. Die Legende besagt, dass drei junge Männer den Faserrock einer Frau klauten und dies dem Familienältesten verheimlichten. Sie brachen damit ein Tabu und der Familienälteste, der bereits eine Schlange war, wurde wütend und schrie sie dafür in der Menschensprache an. Als Schlange war es aber untersagt in Menschensprache zu sprechen und weil er das Verbot brach, starb er und das war der erste Tod (…). Seitdem nutzen die Dogon bei den Totenfeiern eine knapp 10 Meter hohe Maske in Form einer Schlange, um die Lebenskraft des Toten, das so genannte „Nyama“ in sich aufzunehmen und seine Seele in das Reich der Vorfahren zu schicken.“ (Müller 2007, S. 6f)
Die Schlange ist demnach ein Symbol für die Lebenskraft. Diese Vorstellung begegnet uns in vielen Mythogogien der Welt; die Schlange ist ein universeller Archetyp, der sehr häufig mit Göttinnen assoziiert ist (Schacht 2012). In vorpatriarchalen, schamanischen Kulturen waren es vor allem die Frauen, die mit der heiligen, wissenden Schlange kommunizierten. Es konnte auch mit den toten Vorfahren kommuniziert werden, sie lebten also weiter und wurden auch wiedergeboren. Tod als endgültiges Erlöschen des Individuums gab es nicht im vorpatriarchalen Weltbild. Erst das Patriarchat, das die schamanische Kommunikation mit den Schlangen mit einem Tabu belegte und der Frau ihre spirituelle Macht raubte, integrierte den Tod in das vorherrschende Weltbild und besetzte ihn mit Angst. Das Nyama, die Lebenskraft, wird nun von Zauberern (Priestern), Jägern, Schmieden und auch den Kriegern beherrscht.

Der Mythos der Dogon ist mit dem Paradies-Mythos der Bibel verwandt. Die „Erbsünde“ begeht hier aber der Mann. Das Patriarchat der Dogon steckt demnach noch in den Kinderschuhen, wie ich es in meinem Buch Archäologie und Macht schon dargestellt habe. Das Patriarchat der islamisierten Republik Mali ist dagegen beinahe perfektioniert, wären da nicht auch die Tuareg, ein Nomadenvolk, das trotz der Islamisierung hartnäckige matrifokale Züge aufweist und das der Putschist Amadou Haya Sanogo zu bekämfen sucht.

Wir haben hier ein besonders schönes, denn beinahe unverbrämtes Beispiel vor Augen, wie mit Mythen patriarchale Politik bzw. Krieg gemacht wird. Sollen wir diese Politik des Diktators gutheißen, weil sie mit der Kultur des Landes legitimiert ist? Das politische Gleichgewicht, das der Diktator beschwört, ist nichts als die Akzeptanz der Stammeshäuptlinge, die sich selbst nur ungern beherrschen lassen. In der Gestalt des Diktators glauben sie Anteil an der Macht über die gefürchtete Weiblichkeit zu haben, und merken so nicht, wie sie in Wahrheit nur von ihm manipuliert und beherrscht werden. Eine uroborische Obsession (Schacht 2012), aus der es kein Entrinnen gibt, außer dass Mann sie einfach mal aufgibt.
Wir glauben, dass wir darüber stehen, dass wir aufgeklärt sind und nicht in dieser Weise manipulierbar seien. Und doch schwören unsere Politiker bei ihrer Vereidigung auf die Bibel.

Nein FAZ, der Artikel gehört nicht ins Feuilleton, sondern in die Rubrik Politik. Und ja Joseph Croitoru – als Autor des Artikels – der amerikanische Anthropologe Bruce Whitehouse, der Sie auf die Idee zu diesem Artikel brachte, hat einen wertvollen Beitrag geleistet.