Fälschung oder nicht: Nicht nur Zanggers Problem

Diese Woche titelte das online-Wissenschaftsmagazin scinexx: „Archäologe als Fälscher entlarvt – James Mellaart fälschte unzählige Belege für archäologische Funde in Kleinasien“, und schrieb:

„Noch ist offen, ob auch das spektakuläre 30-Meter Fries von Beyköy eine komplette Fälschung ist. Aufgrund der Sichtung seines Nachlasses ist aber klar, dass viele der ‚Beweise’, die Mellaart für die Echtheit der Inschriften anführt, von ihm selbst erstellt wurden. (…) Damit ist klar: Der berühmte Archäologe James Mellaart war ein Fälscher.“ (scinexx, 14.3.2018)

Auch DER SPIEGEL, Ausgabe 11/2018 (Frank Thadeusz) nahm sich der Angelegenheit in seiner Printausgabe an und titelte „Schrump­liger Luftballon – Ein Altertumsforscher enttarnt einen Fälscher – auf dessen angebliche Sensationsfunde er allerdings selbst hereingefallen war“. Der gleiche Artikel wurde kurz darauf bei SPIEGEL-Online unter dem Titel „Geneppter AltertumsforscherDie Verfälschung der Bronzezeit“ hinter einer paywall zugänglich gemacht.

Der britische Archäologe James Mellaart entdeckte 1961 den jungsteinzeitlichen, anatolischen Siedlungshügel von Çatal Höyük. Hier erlebte die Archäologie einen Jahrhundertfund, denn es wurde schlagartig erkennbar, wie hoch entwickelt die Jungsteinzeit in Wirklichkeit war, nachdem man sie sich lange als vollkommen barbarisch und rückständig vorstellte. Vor allem erkannte Mellaart die ausgeprägte Mutterzentrierung des Kultes und postulierte dies auch für die Gemeinschaft der einst dort Lebenden. Der Hügel war keine Fälschung, sondern ist bis heute weithin in der Landschaft erkennbar und wird wieder seit 1993 vom dem britischen Archäologen Ian Hodder und dessen Team untersucht.

Als jahrzehntelange Beobachterin der Ausgrabung schreckte mich diese Meldung auf. Die Vorwürfe sind allerdings nicht neu. Immer wieder wurde in der Vergangenheit versucht, Mellaarts Ansehen mit derartigen Meldungen zu schmälern. Im Zusammenhang mit den Mustern anatolischer Kelims berichtete ich bereits in meinem Openbook darüber. Einen schlagenden Beweis, dass er seine Zeichnungen gefälscht hatte, hat es nie gegeben.
Zweifelhaft sei auch der sog. Schatz von Dorak, von dem Mellaart lediglich Zeichnungen vorweisen konnte. Der Fall ist bei Wikipedia nachzulesen. Auch hier konnte Mellaart letztlich aus Mangel an Beweisen keine Fälschung nachgewiesen werden und die Polizei stellte die Untersuchungen ein.

Nun, die Dorak-Affaire ist für mich insofern interessant, als dass mir vor vielen Jahren ein mir unbekannter Deutscher das Foto einer weiblichen Figurine aus der ebenfalls jungsteinzeitlichen Siedlung Haçilar per E-mail zusandte, die er angeblich von seinem Großvater geerbt habe. Dieser habe die Figurine im Urlaub vor Ort von einer Frau gekauft. Auch Haçilar wurde einst von Mellaart entdeckt und ausgegraben. Ich schrieb dem Unbekannten zurück, dass ich der Meinung bin, dass die Figurine in ein Museum gehört, ich mich also freuen würde, wenn er sie dort hinbrächte, ich sie aber gerne vorher noch fotografieren würde, weil Originalfotos wegen diverser Beschränkungen von türkischer und auch deutscher Seite kaum zu machen sind. Er versprach mir daraufhin, bei einer Durchreise vorbeizukommen. Der Fototermin kam jedoch nie zustande, der Mann meldete sich nie wieder. Die Datei hatte ich auf meinem alten 2GB Win95-PC gespeichert und hat bei einem der damals üblichen Abstürze nicht überlebt. Leider hatte ich damals noch kein IMAP eingestellt. Ob er nur ein Betrüger war, konnte ich damals nicht feststellen.
Es kann also durchaus vorkommen, dass archäologische Funde plötzlich auftauchen und wieder verschwinden. Sollte es nicht dennoch unsere „historische Pflicht“ sein, darüber zu berichten? Oder geraten wir dann nur in Gefahr, selbst ein Hochstapler zu sein?

Aktuell geht es nun um einen luwischen Text, die sog. Hieroglyphen von Beyköy. Luwisch ist eine lange ausgestorbene anatolische Sprache. Die Kopie des Textes aus dem Jahre 1878, der Zeit kurz vor der Zerstörung des Originals, wurde Mellaarts Angaben zufolge irgendwann sein Eigentum. Der deutsche Geoarchäologe und Luwisch-Kenner Eberhard Zangger behauptet nun, beweisen zu können, dass die Abschrift eine Fälschung sei, und geht damit in die Kriminalgeschichte der Archäologie ein.
Der heute 59jährige und in Zürich lebende Wissenschaftler arbeitete zusammen mit dem renommierten Sprachwissenschaftler Fred Woudhuizen an einer wissenschaftlichen Publikation über die Texte. Die Abschrift war für Zangger dabei eine sehr wichtige Quelle, denn sie stütze seine These über die Luwier, die er für die Anführer der legendären Seevölker hält. Inzwischen ist Zanggers populärwissenschaftliches Buch dazu mit dem Titel „Die Luwier und der Trojanische Krieg: Eine Entdeckungsgeschichte“ (Zürich 2017) erschienen.

Im Bild: Eberhard Zangger. Quelle: Spiegel-online
Eberhard Zangger. Bildquelle: Spiegel-online

Mellaart starb im Jahre 2012 und hinterließ sein Archiv seinem in Istanbul geborenen Sohn Alan. Dieser war einst in die Fußstapfen seines Vater getreten und studierte Orientalistik. Dann aber schlug er eine Karriere als Gebietsmanager bei einer Pharma-Firma in Saudi Arabien ein und als Verkaufsmanager bei Tetra Pak in der Türkei, wie wir es auf seiner Homepage nachlesen können, die reich mit Bildern aus Çatal Höyük geschmückt ist (Stand März 2018). Er lebt bis heute in Istanbul und betreibt dort eine eigene Beratungsfirma.
Alan Mellaart übergab Zangger vor neun Monaten, also etwa Juni 2017, wenige Wochen vor dem Abgabetermin seines Buches, eine Mappe aus dem Nachlass mit der „detailgetreuen Nachzeichnung des Hieroglyphentextes“ (DER SPIEGEL 11/2018, S. 110), angeblich „in gutem Glauben, sie seien echt“ (scinexx 14.3.2018). Die Mappe soll nach Angaben des SPIEGEL vorerst im Tresor Zanggers verschwunden sein, nach scinexx aber hätte eine Veröffentlichung stattgefunden. Was stimmt, kann ich hier nicht entscheiden.

Zangger soll Mellaart in seinem Buch „ein geradezu hymnisches Kapitel“ (vgl. DER SPIEGEL 11/2018, S. 110) gewidmet haben, was allerdings reichlich übertrieben ist, wie ich meine (siehe Buch S. 199-213). Aus dem Spiegel 41/2017 vom 7.10.2017 erfahren wir:

Kurz vor der Ver­öf­fent­li­chung sei­nes neu­es­ten Coups er­hielt der Geo­ar­chäo­lo­ge Eber­hard Zang­ger ver­stö­ren­den Be­such aus Eng­land. Un­er­war­tet kreuz­te vor zwei Wo­chen der Keil­schrift­ex­per­te Mark Weed­en bei ihm auf, um ei­nen dra­ma­ti­schen Ap­pell an ihn zu rich­ten: Zang­ger möge bit­te un­ter al­len Um­stän­den die Pu­bli­ka­ti­on stop­pen; er sei be­stimmt ei­ner Fäl­schung auf­ge­ses­sen, der Ar­chäo­lo­gie dro­he bei Ver­öf­fent­li­chung schwe­rer Scha­den.“ (DER SPIEGEL 14/2017, S.130)

Worauf Mark Weeden, der Senior Lecturer in Ancient Near Eastern Studies am Department of Religions and Philosophies, School of History, Religions and Philosophies der University of London ist, seine Behauptung stützt, bleibt unbekannt.

Gleich nachdem das Buch im Oktober 2017 erschienen war, gab es in der Fachwelt einen Total-Verriss: Zangger hat in der Tat den methodischen Fehler begangen, die Abschrift unkritisch verwendet zu haben.

„In jeden Fall ist es nicht wissenschaftlich, die Existenz der Inschrift des Großkönigs Kupanta-Kurunta aus einer bloßen Zeichnung eines Mannes wie Mellaart als gesichert anzunehmen.“ (Annick Payne, Hethitologin am Institut f. Arch. Wissenschaften, Universität Bern in: DER SPIEGEL 11/2018)

In einem Interview mit der Stiftung Luwian Studies, deren Präsident Zangger ist, sagte im Oktober 2017 Zanggers Kollege Fred Woudhuizen:

Tatsächlich erfuhren mein Koautor und ich schon von diesen Verdächtigungen, vier Wochen bevor die Nachricht um die Welt ging. Wir hatten damals noch nicht gewusst, dass die Inschrift seit geraumer Zeit bekannt ist. Einige Kollegen kennen sie seit 28 Jahren und besitzen sogar Kopien davon. Meiner Ansicht nach lassen sich die Fälschungsvorwürfe auf drei Ursachen zurückführen. Erstens fehlt das Originaldokument; wir haben nur eine Zeichnung. Zweitens stammt diese Zeichnung aus dem Nachlass von James Mellaart, einem Wissenschaftler, der angeblich Beweise gefälscht haben soll. Drittens enthält der Text einige grammatikalische Besonderheiten, die wir bisher nicht gesehen haben.“ (Website Stiftung Luwian Studies, 10/2017)

Im Dezember 2017 veröffentlichten die beiden Autoren in dem einst von Woudhuizen herausgegebenen Fachblatt TALANTA den umstrittenen Text, nahmen zu den Vorwürfen Stellung und forderten eine faire Diskussion ein, denn nach wie vor war die Echtheit nicht geklärt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte kein Experte die Original-Abschriften aus Mellaarts Nachlass gesehen.

Erst am 24. Februar 2018 reiste Zangger nach London, wo er nun in der Schreibstube Mellaarts eindeutige Hinweise auf eine Fälschung gefunden haben will. Am 28. Februar 2018 bereits – recht schnell für eine sorgfältige Prüfung, wie ich meine – schrieb Zangger auf der Website seiner Stifung Luwian Studies in einer kurzen Meldung, dass er entdeckt habe, dass es sich um eine Fälschung handelt. Trotzdem wurde das Buch nicht aus dem Handel genommen, denn Zangger meint, dass seine These „keineswegs“ widerlegt sei.

Was für ein Glück nur, dass seinerzeit Mellaarts Haus am Bosporus abbrannte, da kann man ihm nun unterstellen, dass dort noch viel mehr Fälschungen gelegen haben (vgl. Stiftung Luwian Studies vom 28.2.2018). Nicht nur Mellaarts Ruf ist ruiniert, auch Zangger selbst hatte sich in der Vergangenheit durch steile Thesen ins Abseits gebracht. Seine Karriere war länger schon am Ende (vgl. DER SPIEGEL 41/2017, S. 131). Sein Lebenswerk konzentriert sich auf den gesamten Raum des östlichen Mittelmeeres und Anatolien. Platons Atlantis nimmt er für bare Münze und verortet es in Troja. Den verheerenden Ausbruch des Vulkans von Santorin (Insel Thera) bezeichnet er als „Naturschauspiel, mehr nicht“, das keinerlei Einfluss auf die kriegerischen Vorgänge auf der Nachbarinsel Kreta und im östlichen Mittelmeerraum gehabt habe, dort, wo im fraglichen Zeitraum die Minoische Kultur mit dem berühmten Palast von Knossos unterging.

Diese biographischen Informationen zu Zangger erfahren wir nicht aus dem scinexx-Magazin, das die Angelegenheit behandelt, als sei die Sache erwiesen und der Gewährsmann über jeden Zweifel erhaben. Überhaupt scheint der scinexx-Artikel wie die Abschrift einer Pressemitteilung Zanggers zu sein, während der aktuelle SPIEGEL-Artikel Schadenfreude zur Schau stellt, aber trotzdem auch nicht an die Echtheit des Nachlasses von Mellaart glaubt, ja nicht einmal eine ihm zustehende Unschuldsvermutung, nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagen“ zugrunde legt, wie es die gesamte Angelegenheit erfordert. Beide Artikel beteiligen sich demnach an einem fortgesetzen Rufmord, ohne dass es eine polizeiliche Untersuchung gegeben hat oder ein international anerkanntes Gutachten, das die Fälschung bestätigen würde. Zu keinem Zeitpunkt lagen die Unterlagen Mellaarts einer unabhängigen Kommission zur Prüfung vor. Es handelt sich also um die Beurteilung durch eine Einzelperson, die befangen ist.

Die Stiftung Luwian Studies, wohl besser Zangger selbst, nahm den Zangger vernichtenden Spiegel-Artikel sofort zum Anlass, ein Interview mit ihm online zu stellen. Auf die Frage, „was da geschehen sei“ antwortete er:

Da kommen meines Erachtens mehrere Faktoren zusammen. Zunächst verknüpfen Journalisten ihren Stoff gern mit Personen. Wenn es um die Luwier geht, liegt es leider nahe, etwas über mich zu schreiben. Je spektakulärer die Geschichte, desto besser – im Positiven wie im Negativen. Hinzu kommt, dass Matthias Schulz, der sich 25 Jahre lang intensiv mit meiner Arbeit beschäftigt hatte, in den Ruhestand geschickt und durch einen jungen Redakteur ersetzt wurde, der mit den Hintergründen nicht vertraut ist und vermutlich auch keine Zeit hat, sich in ein Thema einzuarbeiten. Und schließlich forderte Frank Thadeusz, dass ich ihm das Material aus James Mellaarts Arbeitszimmer exklusiv überlasse – vier Wochen bevor jemand anders informiert würde. Das ging natürlich nicht.“ (Website Stiftung Luwian Studies vom 14.3.2018)

Ich bin, wie die LeserInnen meiner Bücher ahnen, natürlich froh über die Nachricht, dass Matthias Schulz endlich im Ruhestand ist, aber Frank Thadeusz muss meiner Meinung nach andere Gründe dafür haben, einen solch bösen Artikel zu schreiben, und ich bin gespannt, wie er sich entwickelt.

Auf die Frage „Wie steht es denn um die große luwische Hieroglypheninschrift aus Beyköy? Ist sie echt oder nicht?“ antwortet Zangger:

Das wissen wir nicht. In Mellaarts Arbeitszimmer haben wir keine Entwürfe oder sonstigen Hinweise auf eine Fälschung dieser Inschrift gefunden; der Vorwurf, eine Fälscherwerkstatt betrieben zu haben, bezieht sich auf andere Dokumente. In der Veröffentlichung der luwischen Hieroglypheninschrift im Dezember letzten Jahres haben der niederländische Linguist Fred Woudhuizen und ich Argumente aufgelistet, die für und gegen die Authentizität dieses Dokuments sprechen. Wir sind dabei zum Urteil gekommen, dass die Argumente für dessen Echtheit überwiegen. Es gibt heute keine neuen Erkenntnisse, und Fred Woudhuizen geht weiterhin davon aus, dass die Hieroglypheninschrift echt ist. Aber man ist natürlich noch skeptischer geworden. Ich möchte mir dazu kein Urteil erlauben.“ (Website Stiftung Luwian Studies vom 14.3.2018, meine Hervorh.)

Diese Aussage könnte für die Leser zunächst in rätselhaftem Widerspruch zu den Verlautbaren bei scinexx und DER SPIEGEL stehen, denn dort lesen wir ja, dass erwiesen sei, dass der Beyköy-Text eine Fälschung sei. Erst beim Lesen des Interviews anlässlich des bösen SPIEGEL-Artikels wird klar, dass es neben der Abschrift der 29m langen Hieroglyphen-Wand noch eine bronzene Inschrift aus dem gleichen Ort gegeben haben soll, deren Abschrift nun als Fälschung da steht. Derart unsaubere Berichterstattung muss man scinexx und Thadeusz vorwerfen. Zangger sagt:

Es wäre natürlich großartig gewesen, wenn es die keilschriftlichen Bronzetafeln aus Beyköy tatsächlich gegeben hätte. Nun fehlt uns nach wie vor eine Geschichte des bronzezeitlichen Kleinasiens. Unsicher ist, wie gesagt, die Authentizität der luwischen Hieroglypheninschrift.“ (Website Stiftung Luwian Studies vom 14.3.2018)

Die Bronzetafeln werden in dem TALANTA-Artikel erwähnt, und ich hoffe, dass dort auch wirklich diese gemeint sind:

„So, the Director of the Department of Antiquities ultimately went to Beyköy himself, only to find that the stones had already been built into the foundations of a new mosque. Furious, the chief archaeologist ordered the entire village to be searched. This raid produced three large bronze tablets covered with cuneiform text in the Hittite language, later dubbed the ‘Beyköy Texts’. (…) Being a former PhD student of the German-born art historian Helmuth Bossert, who played a key role in the deciphering of Luwian hieroglyphic, and having taken part in the initial excavations at Karatepe-Arslantas, where the bilingue was found that made deciphering possible, Alkım was himself an expert on Luwian hieroglyphic. He wanted to publish this stone inscription in the second volume of the overall project. Mellaart visited Alkım in his office in İstanbul in 1979. On that occasion, Mellaart saw the material for the planned publication: photographs (of the bronze tablets), transcriptions, translations, and philological comments.“  (TALANTA Vol 50/2018, S. 14 ff, meine Hervorhebungen)

So dumm kann man doch nicht sein

Die Frage aller Fragen lautet: Wenn Mellaarts Sohn schon im Juni 2017 Kontakt mit Zangger aufgenommen hat, warum hat Zangger nicht schon damals Eintritt in das Arbeitszimmer erbeten? ArchäologInnen sind doch von Natur aus neugierig! Erst nach dem Verriss geht er in die Offensive und zaubert die angebliche Fälschung hervor. Wie Zangger darauf kommt, dass Mellaarts Unterlagen die Fälschung der Bronzetafeln beweisen, erfahren wir leider nicht. Uns wird lediglich eine Schiefertafel mit einer Zeichnung im „Çatal-Höyük-Style“ gezeigt, die als Fälschung bezeichnet wird, obwohl Mellaart sie meines Wissens gar nicht veröffentlicht hat.

Im Bild: Artefakt aus dem Nachlass von James Mellaart. Quelle: scinexx.de
Artefakt aus dem Nachlass von James Mellaart. Bildquelle: scinexx.de

Bis die Unterlagen nicht von einer unabhängigen Experten-Komission geprüft wurden, können wir gar nichts glauben. Gerne aber wird die Fachwelt Zangger glauben, denn die hatte sich ja bereits sehr weit mit ihrer Vorverurteilung aus dem Fenster gelehnt. Da steht dann noch viel mehr auf dem Spiel. Im Übrigen möchte ich auch nicht in der Haut von Alan Mellaart stecken.

Bei jeder Straftat fragen Kriminalisten nach dem Motiv. Wäre Mellaart wirklich so dumm gewesen, die Spuren seines angeblichen Betrugs nicht zu verwischen? Und wenn das Absicht gewesen wäre, was hätte er uns damit sagen wollen? Dass er es nötig hatte, zu fälschen, damit er ein Auskommen hat oder sein ohnehin schon großer Ruhm noch größer werde? War er vielleicht nur verzweifelt, weil ihm niemand glaubte, und half daher nach? Dann würde das m. E. sogar die Echtheit wahrscheinlicher machen. Was sagt uns der Spruch, den Mellaart einst auf die Mappe geheftet haben soll?:

Und an alle Gegner: Mögen eure Namen so gloreich in Erinnerung bleiben wie der Mist eurer Schafe.“ (DER SPIEGEL 41/2017, S. 132)

Hätte er wirklich ausgerechnet seine wenigen Verteidiger narren wollen? War es am Ende nur „experimentelle Archäologie“, die er in seiner Schreibstube betrieb? Auch luwische Schreibübungen sind kein Verbrechen. Ein Fälscher ist er deswegen noch lange nicht. Ein Fälscher geht klugerweise mit gut gefälschten Objekten an die Öffentlichkeit – dafür gibt es inzwischen spektakuläre Beispiele – nicht aber mit Kopien gefälschter Objekte. Das war sicher auch dem Wissenschaftler Mellaart klar. Selbst seine Aufforderung, die Unterlagen posthum zu veröffentlichen, beweist keine Fälschungsabsicht, sondern drückt zuerst einmal den Willen aus, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Mellaarts Entdeckungen und ihre Deutung sind bis heute wegweisend. Er hat es zu keinem Zeitpunkt nötig gehabt, irgendwelche Bilder oder Texte zu fälschen. Im Gegenteil: schon früh hat er sich mit seinen Veröffentlichungen in Gefahr gebracht. Für eine extrem patriarchalische Gesellschaft wie die Türkei waren Mellaarts brisante Entdeckungen schon immer störend. Die „Dorak-Schatz-Affäre“ nutzte die türkische Regierung 1965, ihm die Grabungslizenz zu entziehen. Sie glaubten ihm die Echtheit, ob aus Kalkül oder einfach so, wir wissen es nicht. Seitdem war jedenfalls Stillstand in Çatal Höyük bis 1993, als Hodder wieder neu beginnen durfte. Hodders Ergebnisse sind für eingefleischte Patriarchen allerdings ebenso unerfreulich, um nicht zu sagen verheerend. Wie Mellaart es vorausgesagt hatte, ist Çatal Höyük ist eine matrifokale Großsiedlung gewesen, in der kleinerlei Familienstrukturen nachzuweisen sind. Die Aussage „No family plots“ sagt schon alles. Aber Hodder schafft es bis heute durch allerlei soziologisches Geschwurbel, die Ergebnisse so darzustellen, dass sich jeder bedient fühlen kann.

Wir wissen, wie schwierig es ist, in diesen Zeiten als Ausländer in der Türkei zu arbeiten. Schon viele Europäer haben ihren Job verloren. Auch die Grabungslizenz zu behalten, bleibt eine echte Herausforderung und ist nur mit viel Anbiederung zu erhalten. Längst wurde dem österreichischen Grabungsteam in Ephesos die Lizenz aus politischen Gründen entzogen.

Wie wird die Sache ausgehen? Ich beobachte sie weiter und fordere eine öffentliche Ausstellung aller Papiere und Objekte ein – nicht nur ein weiteres Buch darüber – , denn der Fachwelt allein kann man diesen Fall kaum noch überlassen!

Das UPDATE dieses Artikels erschien am 7. März 2020 und ist hier zu finden.

 

3 Gedanken zu “Fälschung oder nicht: Nicht nur Zanggers Problem

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